Nr. 209: Es ist in aller Munde, in Volksvertreterrunde

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

sehen Sie gerne politische Talkshows? Wenn ja, muss Ihnen etwas aufgefallen sein. Ein neues Modewort macht die Runde. Wer etwas auf sich hält, benutzt es. Mehrfach während einer Diskussion. Es adelt den Benutzer. Ist Ausweis seiner Kompetenz. Macht bedeutend. Man kann sich dahinter verstecken. Das Publikum soll beeindruckt werden.

 

Die Wahrheit ist: Es handelt sich um eine Worthülse. Bei Verwendung gehört ein Schein ins Phrasenschwein. Ob wir das noch erleben? Aber wenn die Worthülse ihren Lebenszyklus irgendwann mal enden sollte, dann gibt es wieder einen neuen sprachlichen Unfug, der uns imponieren soll.

 

 

Die Worthülse

 

Seit Jahrmillionen war´s passiv.

Das Narrativ, das Narrativ.

Es suchte Rang nicht, nicht den Glanz

Nie wand man ihm den Ehrenkranz.

 

Doch hört, wie´s ihm gegangen.

Man hat es eingefangen.

 

Es kamen Menschen von weither.

Entführten es weit übers Meer.

Das Narrativ nahm´s mit Humor.

Erlebt hat´s solches nie zuvor.

 

Und als man es befreit´,

macht es Karriere bundesweit.

 

Nun ist es aktiv, nicht passiv.

Das Narrativ, das Narrativ.

Es ist in aller Munde

in Volksvertreterrunde.

 

Das Volk konnt´s nicht mehr hören.

Man bat sie, abzuschwören.

 

Dazu war´s längst spät.

Wisst ihr, wie´s weitergeht?

Wer Kompetenz beweisen will,

der liftet seinen Kühlergrill.

 

Mit glänzend schönem Worte,

und sei´s aus der Retorte.

 

Wer auf sich hält in dieser Welt

erwirbt´s für eher kleines Geld.

Dann füttert er´s und führt es aus.

Und wir? Wir spenden den Applaus.

 

Das Narrativ wird bleiben.

Beim Sprechen und beim Schreiben.

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