Nr.19: 100 Jahre Frauenwahlrecht: Wir wollen die neuen Männer sein

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

alles hat seine zwei Seiten. Vor 100 Jahren endete der blutige 1. Weltkrieg mit seinen zahllosen Toten und der Zerstörung und Zerrüttung von Existenzen und Lebensläufen. Und doch begründete er die 1. deutsche Republik mit der verfassungsmäßigen Festschreibung demokratischer Grundrechte, wie dem allgemeinen, freien und geheimen Recht der Frauen, ihre parlamentarischen Vertreter selbst zu wählen bzw. sich selbst der Wahl als Volksvertreterin zu stellen.

 

Nicht selten wird dieser großartige und damals schon längst überfällige Erfolg durch die aktuellen Defizite bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau überlagert. Ist das Glas der gleichberechtigten Teilhabe der Geschlechter am politischen und sozialen Leben nun halbvoll oder halbleer? Wie immer hört man die Stimmen der Unzufriedenen am lautesten. Lesen Sie mein Protokoll einer durchweg von Frauen besuchten Festveranstaltung zum Thema.

 

Sitzungsprotokoll zum 100. Jahrestag

der Verabschiedung des Frauenwahlrechts

 

Tagesordnungspunkt 10: Aussprache

 

„Immerhin“, ruft Rita laut,

„wir haben es doch fast geschafft.

Wir wehren uns jetzt unsrer Haut.

Ihr Männer! Frauen stehen voll im Saft“.

 

„Nu´ mal langsam“, dämpft Sabine.

„Erste Schritte. Doch grandios?

Wer füllt denn die Waschmaschine?

Ist noch immer Frauenlos“.

 

„Augenhöhe“ fordert Elke.

Teilung aller Männermacht.

Für Verzicht gibt´s keine Nelke.

Also zieh´n wir in die Schlacht“.

 

„Müde Mädchen, macht mobil“

gendern Kathrin und Helene,

Frauen sind nicht mehr servil.

Wir machen jetzt auf Kampfhyäne!“

 

„Macht macht geil, macht rücksichtslos“,

hört man Steffi leise klagen.

„Das ist mehr als dubios.

Wollten wir denn nicht entsagen                                         

 

Macho-Scheiß und Statuskrampf?

Wenn wir die Männer jetzt kopieren,

werden wir in unserem Kampf

für mehr Teilhabe verlieren“.

 

„Verlieren werden wir nur Zeit.

Krieg dem falschen Rollenwahn.

Jonas klein kriegt jetzt ein Püppchen

und Marlene einen Kran“.

 

„Und“ heult´s auf der anderen Seite,

„Mädchen rosa, Jungens blau?

Das ist eine totgeweihte

Praxis. Jetzt heißt´s nur noch: Alle grau!“

 

„Auch die Namen sind fatal.

Julchen, Tine, Max und Tim

ändern wir geschlechtsneutral

in Kari, Chrissie, Hope und Kim“.

 

Alles liegt sich in den Armen.

„Wir kriegen schon die Männer klein.

Für Euch gibt´s künftig kein Erbarmen.

Wir woll´n die neuen Männer sein.“