Mit leisen Tönen laut in die Welt
Capella de la Torre gibt Frühlingskonzert in St. Magni in Braunschweig
von Rainer Sliepen, 6. März 2022
Katharina Bäuml (links) mit ihrem Ensemble Capella de la Torre
In all dem Chaos unserer Gegenwart klingt es wie eine Siegesfanfare: „O che nuovo miracolo“. O, welch´ immer neues Wunder. „Das Wunder“ ereignete sich in St. Magni beim Konzert der Reihe „Renaissance-musik an Elbe und Weser“. Und gefeiert wurde musikalisch der Frühling, der bei uns mit Schneeglöckchen und gelbstrahlenden Winterlingen längst seinen Einzug genommen hat.
Der Herold des Lenz`, wie die Dichter sagen, war die Capella de la Torre unter der Leitung von Katharina Bäuml. „Wir wollen mit diesem Konzert trotz Kälte, Krieg und Kummer ein Hoffnungszeichen in trüber Zeit setzen“, so Bäuml zu Beginn. Und sanft und doch entschlossen, von der Trommel angeschoben, marschiert der Frühling ein, in Töne gesetzt von Emilio de Cavalieri (1550 bis 1602), warm und weich grundiert von Posaune und Dulzian, rhythmisch verhalten und doch gespeist von der unterschwelligen Energie der Schalmei und ihrer größeren Schwester, des Pommer.
Über allem schwebt der Sopran von Margaret Hunter, der glaubensgewiss von den Wundern der Natur kündet. Die Menschen der Renaissance schienen noch in und mit ihren Jahreszeiten gelebt zu haben, nicht als Ergebnis von atmosphärischen Luftdruckunterschieden wie heute. Gerade der Frühling wurde als Geschenk der Schöpfung begriffen und von Künstlern gefeiert. „Ecco, la primavera“. Hier ist er, der Frühling! Das ist die musikalische Botschaft von Francesco Landini (1325 bis 1397). Wiederum Schalmei und Pommer liefern sich ein reizendes Duett, das an eine bunte Blumenwiese denken lässt, auf der sich Lerche und Nachtigall einen Sängerwettstreit liefern. Unverstellte Fröhlichkeit, wiegend leicht im Sommerwind, das sind die Gefühlswerte dieser Musik.
„Die Komponisten erzählen uns in ihrer Musik Geschichten“, sagt Katharina Bäuml. „Der Gegensatz zwischen Alltagswelt und Spiritualität hebt sich auf.“ Das, was heute vollmundig als Crossover bezeichnet wird, hatte die Renaissance längst in ihrer
Kultursprache verinnerlicht. Die Kirche als Hort der Gläubigen und als Schiff im Meer der Zeiten. Diese Bilder berühren den modernen Hörer als ein musikalisches Erbe aus ferner Zeit.
Auch die Endlichkeit des Lebens als natürlicher Schlusspunkt wird bildhaft in Szene gesetzt, wie der Pavan, einem feierlich-langsamen Schreittanz. „The funerals“ von Anthony Holborne (1545 bis 1602) tönt dem Publikum entgegen als tiefernster Trauerkondukt. Pauke, Bläser, Laute und Orgel begleiten einen Leichenzug, nicht als die menschliche Katastrophe des Todes, sondern als würdigen Ab-schluss eines erfüllten Lebens. Auch hier die harmonische Auflösung von Gegen-sätzen, die den modernen Menschen be-drücken und ängstigen. Und plötzlich, ein Sonnenstrahl, wie aus den düsteren Wolken eines bedeckten Himmels. Es leuchtet der tröstliche Sopran Margaret Hunters mit der Botschaft des Wolfenbütteler Hofkapellmeisters Michael Praetorius (1571 bis 1621) „Verleih uns Frieden gnädiglich“. Eine vom Ensemble eindringlich verstärkte Botschaft von der Geborgenheit des Menschen trotz Krieg und Not. Ein wunderbarer improvisierter Einfall mitten im Programm des Konzerts. Auch heute noch ist die Musik der Re-naissance voller aktueller Bezüge, die Herz und Gefühl erreichen.
Zum Abschluss die Feier des italienischen Lebensgefühls. Man möchte fast mit dem Ensemble, das seine Freude am feurigen Rhythmus nicht unterdrückt, aufstehen und sich in den Rundtanz von Lebensfreude und Hoffnung einreihen. Es erklingt ein Liedchen, in reizendem Über-mut hingeträllert: „Si j´aime ou non, j´en dis rien“ (Ob ich liebe oder nicht, sage ich niemandem) von Adrien le Roy (16. Jahrhundert). Ein von erster Liebe erfülltes junges Mädchen. Tod, Leid und Kummer sind für einen seligen Moment weit weg. Und so empfindet es auch das Publikum. Langer Beifall für ein Konzert, das mit leisen Klängen laut in die Welt heraus-schallt.