Goethe: Natur und Kunst

 

Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen,
Und haben sich, eh' man es denkt, gefunden;
Der Widerwille ist auch mir verschwunden,
Und beide scheinen gleich mich anzuziehen.

 

Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!
Und wenn wir erst in abgemeßnen Stunden
Mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden,
Mag frei Natur im Herzen wieder glühen.

 

So ist's mit aller Bildung auch beschaffen:
Vergebens werden ungebundne Geister
Nach der Vollendung reiner Höhe streben.

 

Wer Großes will, muß sich zusammen raffen;
In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.

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Sliepen: Freiheit und Verantwortung

 

Freiheit und Verantwortung – ein ungleich Paar.

Die eine will sich schrankenlos entfalten,

die andere den Freiheitsdrang gestalten.

Denn Fordern birgt ohn´ Augenmaß Gefahr.

 

Der Eremit kann leben, wie er mag.

Sein Dasein ist auf Einsamkeit gestellt.

Sein Wünschen gilt nur Gott und nicht der Welt.

So lebt allein er jeden neuen Tag.

 

Doch die Gemeinschaft ist ein streng´res Reich.

Sie gibt im Überfluss, doch nicht geschenkt.

Der Mensch, der dankbar sich der Gaben freut,

 

der nimmt sie gerne an und gibt zugleich.

Nur wer als freier Bürger sich beschränkt,

der hat sein weises Tun niemals bereut.

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