Das besondere Theaterereignis


        Robert Schumann                                     Matthias Brandt und Jens Thomas

                                         

                             Das Sterben eines großen Mannes            

                  Wort-Musik-Collage über das Ende des Komponisten Robert Schumann

 

Wolfenbüttel, den 20.02 2023, von Rainer Sliepen

 

Gestern im Lessingtheater. Ausverkauftes Haus. Ein Zwei-Personen-Stück. „Krankenakte Robert Schumann“. „Ja, der Romantiker. Soll ein Exzentriker gewesen sein. Schöne Musik, sagt man. Dazu der großartige Matthias Brandt, Kommissar aus dem „Polizeiruf 110“. Und dazu noch ein Pianist. Wie heißt der? Ach, da steht´s, Jens Thomas. Na ja, Musik kann nicht schaden. Ich freu mich jedenfalls.“ So ähnlich könnte ein Besucher der Wort-Musik-Collage gedacht haben.

 

Dissonanzen und taumelnde Tonketten

 

Doch in diese wohligen Erwartungen krachen ohne Vorbereitung Dissonanzen vom Flügel, unzusammenhängende taumelnde Tonketten, kakophonisches Gelärme. Der Pianist scheint über sein Spiel selbst erschreckt. Die Augen zucken. Der Körper dreht sich, sackt zusammen. Und plötzlich von Ferne, Glückseligkeit, Harmonien, wie eine träumerisch sich auflösende Erinnerung. Doch schon drängt sich wieder grelle Verzweiflung in den Vordergrund. Ein Drama bekommt erschreckende Konturen. Der weltberühmte Komponist Robert Schumann, Inbegriff der Romantik, des Schönen, der musikalischen Ausdrucksvielfalt und sensiblen Ausdeutung lyrischer Texte ist wahnsinnig geworden. In Endenich am Rhein, in der dortigen Irrenanstalt, so die damalige Bezeichnung, soll er geheilt, nein, aufbewahrt werden. In Wirklichkeit wird sein Sterben überwacht. Zu helfen ist ihm nicht.

 

Ein Genie hat seine Musik verloren

 

Ihm ist das Schlimmste widerfahren, was es für ein kreatives Genie gibt: Er hat seine Musik verloren. Brandt sitzt rechts vom Flügel. Er zeichnet die Stationen des Verfalls nach, die der Krankenpfleger der Anstalt, Klingelfeld, dokumentarisch aufgezeichnet hat. Es ist faszinierend und quälend zugleich, was sich im Krankenzimmer des Komponisten abspielt. Brandt lässt das Publikum teilnehmen an der Zerrüttung der Psyche Schumanns. Er lallt, keuchende Wortfetzen, dann ein Erschöpfen und völlige Teilnahms-losigkeit. Der Bericht Klingelfelds. Schumann betrachtet sich im Spiegel. Erschrickt. Eine Pupille riesengroß, die andere winzig klein. Ein Monster? Vom Flügel sein Lied von der Loreley. Deutlich zu erkennen: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten…“ Heines Worte und gleichzeitig die seine Nerven zertrümmernde Frage. Was soll es bedeuten? Niemand wird das beantworten können. Die Syphilis? Eine schon früh erkennbare Disposition zu wahnhaften Störungen? Wie damals, als er sich mit der Fixierung seiner dadurch ruinierten Finger eine bessere Klaviertechnik versprach? Oder hat sich ein Mensch im Schaffensdrang verbrannt, wie eine sich selbst verzehrende Kerze? Die Melodie löst sich auf in heulendes Röhren, sägende Oktaven, ein schrecklicher Singsang, der sich aus dem Pianisten herausquält. Ein Tinnitus, würden wir heute sagen, der sich in peinigender Intensität im Raum ausbreitet. Das spielt sich aber im Kopf Schumanns ab. Da ist kein Notausgang. Es drückt gegen seinen Schädel, foltert seine malträtierten Sinne, pocht und klopft ohne Unterlass. Und kein Ende.

 

Keine schauspielerischen Exaltationen

 

Brandts Kunst braucht keine Exaltationen. Alles ist leise, fast zurückhaltend artikuliert. Die Ausbrüche sind umso wirksamer. Klingelfeld muss sich gegen die Gewaltschübe des Komponisten zur Wehr setzen. Das entsetzt ihn, den sensiblen Mann. Clara, Roberts Frau ist zu einem ihrer seltenen Besuch gekommen. Sie erkennen sich. Augenblicke schmerzlichster Innigkeit. Brandt liest aus Klingelfelds Aufzeichnungen und scheint mit der Persönlichkeit Schumanns zu verschmelzen. Das Ende naht. Schumann schrumpft zusammen. Ein Kind nur noch. Lallen. Schwaches Wehren. Klingelfeld nimmt ihn in den Arm. Trägt ihn ins Bett. Zählt die Atemzüge. 60 in der Minute. Dann nur noch zwei. Ein letztes Ausatmen. Der Tod. Und da vom Flügel das Goethe-Lied. Sein Lied. Unverzerrt, wärmend, voller Trost und Zärtlichkeit: Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt. Ihr glücklichen Augen, was je ihr gesehen. Es sei, wie es wolle, es war doch so schön. Schumann ist gegangen. Er wurde 56 Jahre alt. Seine Musik wird nie sterben. Langer dankbarer Applaus für die großartigen Künstler, die die tragische Phase am Lebensende eines großen Mannes mit tiefem Respekt haben lebendig werden lassen.

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 Die Collage basiert auf dem Buch von Peter Härtling: Schumanns Schatten, dtv.