Ein kabarettistischer Guerillakampf der Sonderklasse
Wilfried Schmickler bringt das Publikum zum Nachdenken
Von Rainer Sliepen, 4. März 2022
Gleich zu Beginn dieser Besprechung will ich den Kabarettisten Wilfried Schmickler, zu Gast im Lessingtheater, bewusst missverstehen. „Es hört nicht auf“ hat er sein aktuelles Programm überschrieben. „Doch, Herr Schmickler, es hat längst aufgehört. Das zeitkritische, pointierte und geschliffene Wort von intellektuell geschulten Bühnenkünstlern gibt es nicht mehr. Stattdessen haben die Flachfiguren der Abteilung geistiger Tiefflug die Lufträume in den deutschen Theatern erobert.“
Einen aus der Riege der Altmeister, die Gesellschaftskritik, Lyrik, Musik und - jawohl - stramme Kalauer zu einer brillanten Zwei-Stunden-Show verweben, hat das Publikum gestern erleben dürfen. Ihr Programmtitel, Herr Schmickler, zielt natürlich auf den immer-währenden Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit, gegen Hass und Intoleranz. Oder in Ihrer Sprache: Der Guerillakampf gegen die Vereinfacher und Wichtigtuer in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft hört nie auf. Und wird vermutlich dennoch nicht gewonnen werden können.
Deshalb erinnern Sie mich auch in Ihrem nie nachlassenden Idealismus an eine der sympathischsten Figuren der Weltgeschichte, den Don Quichotte. Der lebt von der Hoffnung, den aufgeblasenen Scheinriesen dieser Welt doch einmal den Stecker zu ziehen. Was ist das Geheimnis Ihres Erfolgs? Es ist
das Bekenntnis zum Kontrast, zur lustvollen Gegenüberstel-lung von Gegensätzen. Ein Beispiel? Bitte schön. Schmickler als passionierter Sportmuffel entlarvt die Bewegungsneurose der Deutschen. Schon fünf Minuten Kniebeugen würden zu einer Ausschüttung von Glückshormonen führen. Das, kommentiert Schmickler trocken, erreiche er genauso schnell mit fünf Bierchen.
Leute wie Trump sind für ihn Monster. Der steht an der Theke von Burger King. Da kommt ein Männchen in einer grünen Uniform und drängelt sich vor: Trump schiebt ihn zur Seite: „America first!“ „Aber ich bin Förster“, so das Männchen. Der Saal rast. Mit einer eleganten Volte gewinnt Schmickler intellektuelle Höhe. Seine Gegner bekommen in irrwitzig überdrehtem Sprachtempo ihr Fett. Plagiate? Warum nicht? Ministerin Giffey für Familie und Gedöns und Karl Theodor zu Guttenberg hätten es vor-gemacht. Bei dessen Pudding in der Birne habe er gedacht, der hat den Dr. Oetker! Und erläutert gleich noch eine Verkehrsregel: Rechts vor links klappt am besten, wenn von rechts kein Auto kommt.
Schmicklers Humor ist subversiv. Mit komischen Bildern und fantastischen Wortmonstern schafft er sich ins Unterbewusstsein seines Publikums. Seine Seele habe während des Lockdowns gelitten: „Ich trug immer einen Helm, weil ich das Gefühl
hatte, die Decke würde mir auf den Kopf fallen.“ Und beklagt anschließend den politischen Verlust einer Kanzlerin: „Die brave Raute Nimmermatt verlässt die politische Flora“. Breitseiten schießt er ab auf die Impfverweigerer. Sein Liedchen dazu: Die Zeit der Irren und Idioten mit dem Refrain: Die Pest, einst schwarz, ist heute braun. Schmickler ist ein Moralist ohne Sendungsdrang, ein Mahner mit einem fröhlichen Gesicht. Wer ihm folgen will, der ist willkommen. Wer nicht, wird schon sehen, was er davon hat. Der könne ja - so sein Vorschlag - in den Bundesverband der Knalltüten eintreten. Der fordere freien Knall für freie Tüten. Langer Applaus für einen engagierten, sympathischen Künstler. Sie haben uns zum Nachdenken gebracht, Herr Schmickler. In einer Zeit der Phrasen und Verdrehungen eine staats-bürgerliche Leistung der Sonderklasse.