Nr. 94: Kein Sturmwind braust, kein Lüftchen weht.

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

eine Verliererin der Corona-Krise ist die Kultur. Und mit ihr die vielen Menschen, für die das Eintauchen in die Welt des Innehaltens, der Reflexion und der zweckfreien Entspannung mehr bedeutet als bloße Unterhaltung.

 

Auch das Lessingtheater Wolfenbüttel hat geschlossen. Wir müssen auf viele wunderbare und berührende Erlebnisse verzichten. Eine schmerzliche Tatsache. Insbesondere für die Theatermenschen vor und hinter dem Vorhang. Sie wollten die Saison 2019/20 mit viel Liebe, Fleiß und Herzblut zu einem glücklichen und erfolgreichen Ende führen.

 

Zudem bedeutet der Abbruch nicht weniger Arbeit, sondern eine zusätzlich hohe Belastung, um auf die Wiederaufnahme des Programms vorbereitet zu sein. Dafür gebührt ihnen unser herzlicher Dank.

 

Auch mich als beschäftigungslosen Theaterkritiker trifft das Virus ins Herz. Aber ein Rezensent jammert nicht. Er fasst seine Gefühle in eine Allegorie.

 

 

Rainer und Bernd – Eine Allegorie

 

Ein Mensch versiert im Kritisieren,

Motivieren, Echauffieren

übt sich - ganz ungeplant -

im Isolieren.

 

Sein Schiffchen, grad noch elegant,

liegt plötzlich ohne Ziel am Strand.

Kein Sturmwind bläst, kein Lüftchen weht.

Da hilft kein Flehen, kein Gebet.

 

Der Mensch starrt auf das Meer hinaus.

Nichts deutet auf ein Windgebraus.

Wie bleiern liegen See und Wellen.

Versiegt sind seines Geistes Quellen,

 

aus denen er die Lust geschletzt,

die Freund entzückt und Feind entsetzt.

Er hadert mit dem Schicksal nun.

Was bleibt dem Menschen noch zu tun?

 

Den leeren Blick lässt er nun schweifen

vom Bugspriet bis zum Rettungsreifen.

Da drückt sich zwischen Klamp und Seil

ein düstern hingeducktes Teil.

 

Er mustert´s scharf aus seinen Augen.

Kann dieses Ding zum Segeln taugen?

Da sieht er mit erfreutem Blick,

der Smutje ist´s. Er selbst. Welch´ Glück.

 

Der Koch, der, wenn der Sturmwind pfiff,

den Braten briet, die Messer schliff,

und so mit leckeren Gerichten

die Basis schuf zu Wortgedichten.

 

"Komm her mein Freund, mein Kamerad.

Du bist wie ich ein Mann der Tat.

Auch wenn ich in des Kampfs Getümmel

dich übersah im Kochgewimmel,

 

so bist du doch, wie ich, ein Kämpfer.

Wir überstehen jeden Dämpfer,

der uns von unserem Ziel entfernt.

Ich heiße Rainer. Und du?" "Bernd".

 

So sehen wir den Bernd und Rainer,

der eine groß, der andere kleiner,

auf günst´ge Wetterlagen hoffen.

Der Ausgang ist wie immer offen.

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