Nr. 109: Man braucht nicht selber mitzudenken

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

 

wir alle haben uns an die digitalen Helferlein, Oberbegriff Applications-Software, gewöhnt. Sie unterhalten uns, machen den Alltag leichter und sollen in der Corona-Pandemie nun auch noch Leben schützen. So unverzichtbar diese Anwendungen inzwischen auch scheinen, eines dürfen wir nicht vergessen: Bei der Digitalisierung gibt es eine problematische Schnittstelle. Die ist da, wo User und Technik aufeinander treffen.

 

Deshalb mein Rat: Für die Verwendung von App´s gilt dasselbe, wie bei der Einnahme von Medikamenten: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.

 

 

Das Navi sagt

 

Ein Mensch will in das Allgäu reisen.

Mit eigenem Auto, statt auf Gleisen.

Er fühlt sich hier als Kapitän

mit Fahrerstolz. Man kann es sehn.

 

Geprüft sind Reifen und Motor.

Es glänzen Lack und Auspuffrohr.

Fein säuberlich geschichtet sind

im Koffer Hose, Hemd und Kind.

 

(Das „Kind“ hat nur den Reim bedient.

Zufrieden sitzt´s im Fond und grient.)

Derweil die blonde Ehefrau

sich räkelt vorn in gelb und blau.

 

Noch eben schnell wird programmiert

das Ziel, das alle interessiert.

Ein „K“ für „Kempten“ reicht da aus.

Doch „Kampen“ macht das Navi draus.

 

Nun wird das Auto flugs gestartet.

Man hat ja lang genug gewartet.

„Die erste rechts, die zweite links,“

quäkt aufgedreht die Navi-Sphinx.

 

„Und auf die Bundesstraße dann.“

Da ist - „rechts ab“ - die Autobahn.

Das Kind, verstöpselt beide Ohren,

hat sich im Netzwerk längst verloren.

 

Die  Ehefrau bemalt sich munter

die bleichen Zehennägel bunter.

Schnell wechselt draußen das Gelände,

Stadt, Dörfer, Felder, Schallschutzwände.

 

 

 

 

Der Mensch träumt von den Alpen schon.

Von Edelweiß und Zitherton.

Von stolzen Gipfel unberührt,

zu denen sie ihr Auto führt.

 

„Elbtunnel Hamburg. Rechtes Rohr“.

Das Navi gibt die Richtung vor.

Inzwischen ist die Welt platteben.

Hier kann es keine Almen geben.

 

Doch Technikglaube ist heut Pflicht.

Man weiß, das Navi irrt sich nicht.

Man braucht nicht selber mitzudenken.

Man lässt vom GPS sich lenken.

 

Das Navi sagt: „16 Uhr 10.

Vor Euch könnt Ihr den Strand schon sehn.“

Man sucht gespannt die Bergeshöhn.

Doch alles flach. Kein Schnee. Kein Föhn.

 

Man ist, o Wunder, jetzt auf Sylt.

Ein Ort, der in der Szene gilt.

Ein Weilchen herrscht im Auto Stille.

Der Mensch putzt ruhig seine Brille

 

und sagt: „Ihr Lieben, was ich seh´,

ist zweifellos der Bodensee.

Und diese Hügel ganz aus Sand?

Ausläufer vom Voralpenland.“

 

Mit dieser Sicht kann man gut leben.

Das Navi hat es vorgegeben.

Jetzt ist mit Kompass und Lawinenseil

Sylt auch für Gipfelstürmer geil.

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