Nr. 120: O wär ich südlicher geboren

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

ich bekenne es, ich bin -  wie viele -  ein Feind aller Heuchelei. Ich hasse die Selbstgerechtigkeit. Das Moralisieren, das die eigene Person von den Schwächen ausnimmt. Die Absolutheit, mit der alle anderen Wahrheiten verdammt werden. Ich verabscheue die Selbstgerechtigkeit, die das Schlechte immer nur bei anderen sucht.

 

Wo wohl sind diese Fehler in besonders ausgeprägter Form zu finden?W Jawohl, bei allen großen Religionen und besonders bei der „einzig seligmachenden Kirche“, dem weltumspannenden Katholizismus. Der hat mir, dem Internatszögling im katholischen Knabenkonvikt „Georgianum“ in Duderstadt/Eichsfeld, meine Jugend kaputt gemacht. Achteinhalb Jahre war die systemimmanente Freudlosigkeit mein ständiger Begleiter.

 

Warum? Weil Menschen, denen man Schuldbewusstsein einredet, leichter zu lenken sind. Dabei wäre es so einfach, eine gottesfürchtige, freudige Schar junger Menschen heranzuziehen, für die die Religion ein Mittelpunkt ihres Lebens ist. Darum hier mein Stoßseufzer. Doch ist nur die Sonne am Untergang der Kirche schuld? Entscheiden Sie selbst!

 

 

Südlicher

 

O wär ich südlicher geboren.

So zwischen Huglfing und Egenried.

Geblieben wär´ ich ungeschoren

vom frömmelnd heuchlerischen Lied.

 

Das klingt mir heut noch in den Ohren.

Das singt von Sünde, Schuld und Fron.

O wär ich südlicher geboren,

dann wär mein Freund der Gottessohn.

 

Nun aber bin ich aufgewachsen,

da, wo die Sonne seltner lacht

und wo die Seelen sind verwachsen

unterm Diktat der Klerusmacht.

 

Statt frohen Sinns den Herrn zu preisen,

der Schöpfung Schönheit sich zu freu´n,

legt man die Fröhlichkeit in Eisen,

um Sündern Demut einzubläu´n.

 

Im Süden weht ein mildrer Wind.

Im Mittelpunkt steht die Versöhnung.

Wer sündigt, der bleibt Gottes Kind

bei noch so gottesferner Regung.

 

Im Beichtstuhl sitzt ein Mensch wie Du

und sichert Dir Vergebung zu.

Denn schließlich ist auch er ein Mann

und sündigt kräftig – dann und wann.

 

Und bei der nächsten Kirchweih schon,

sofort nach seinen heil´gen Pflichten,

siehst Du ihn ohne Gottessohn

im Gasthaus Sonderschicht verrichten.

 

Im Süden leuchtet die Religion

mit Prunk und Farben und Gesang.

Im Norden droht die Hölle schon

mit 1000 Teufeln am Empfang.

 

Und darum seufz´ ich heute noch.

So viel ging mir an Freud verloren.

Obwohl lang her, wünscht ich mir doch:

O wär ich südlicher geboren.

_______________________________________

 

Wie immer gelassen und friedfertig

 

Ihr