Liebe Leserin, lieber Leser,
Rassismus ist keine Erfindung unserer Zeit. Es gab ihn immer schon. Zu Zeiten Heinrich Hoffmanns, also zur Mitte des 19. Jahrhunderts, speiste er sich aus der Begrenztheit des menschlichen Wissens. Der weiße Mensch war das Maß aller Dinge. Die vordergründige Parteinahme Hoffmanns im "Struwwelpeter" für den “kohlpechrabenschwarzen Mohren“ entlarvt sich in seiner Strafe für die ungezogenen Buben. Die werden für ihre Tat in ein Tintenfass getaucht und sind von nun auch Objekte der Ausgrenzung und des Spottes.
Kann man dem Rassismus unserer Tage mit einem Sprachverbot beikommen? Ich habe dazu eine dezidierte Meinung. Lesen Sie meine Kontrafaktur zu Heinrich Hoffmanns „Mohren“.
Heinrich Hoffmann: Die Geschichte
von den schwarzen Buben
Es ging spazieren vor
dem Tor
ein kohlpechrabenschwarzer Mohr.
Die Sonne schien ihm aufs Gehirn,
da nahm er seinen Sonnenschirm.
Da kam der Ludwig hergerannt
und trug sein Fähnchen in der Hand.
Der Kaspar kam mit schnellem Schritt
und brachte seine Brezel mit.
Und auch der Wilhelm war nicht steif
und brachte seinen runden Reif.
Die schrien und lachten alle drei,
als dort das Mohrchen ging vorbei,
weil es so schwarz wie Tinte sei!
Da kam der große Nikolas
mit seinem großen Tintenfaß.
Der sprach: "Ihr Kinder, hört mir zu
und laßt den Mohren hübsch in Ruh!
Was kann denn dieser Mohr dafür,
dass er so weiß nicht ist wie ihr?"
Die Buben aber folgten nicht
und lachten ihm ins Angesicht.
Und lachten ärger als zuvor
über den armen schwarzen Mohr.
Der Niklas wurde bös und wild,
du siehst es hier auf diesem Bild!
Er packte gleich die Buben fest,
beim Arm, beim Kopf, bei Rock und West,
den Wilhelm und den Ludewig,
den Kaspar auch, der wehrte sich.
Er tunkt sie in die Tinte tief,
wie auch der Kaspar "Feuer" rief.
Bis übern Kopf ins Tintenfass
tunkt sie der große Nikolas.
Du siehst sie hier, wie schwarz sie sind,
viel schwärzer als das Mohrenkind.
Der Mohr voraus im Sonnenschein,
die Tintenbuben hinterdrein;
und hätten sie nicht so gelacht,
hätt Niklas sie nicht schwarz gemacht.
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Rainer Sliepen: Die Geschichte
von den schwarzen Buben
Es ging spazieren vor dem Tor,
nein, nein, kein rabenschwarzer Mohr.
Es ist ein Mensch, wie ich und du.
Mit Kopf und Bein und Haar dazu.
Dunkel die Haut. Die mein´ ist hell.
Wer kann mir sagen auf die schnell,
wer nun im Urteile der Welt
zum besseren Teil der Menschheit zählt?
Die Haut, die deckt die Seele zu.
Und niemand weiß, nicht ich, nicht du
ob drinnen in dem Körperbau,
das Böse, Finstere überwiegt
oder ob meist das Gute siegt.
Doch Hans und Franz, die lachten:
„Jetzt geh´n wir Mohren schlachten.
Wer nicht aussieht wie wir Beiden,
den können wir nicht leiden.
Der soll nach Hause in den Kral.
Eure Moral ist uns egal.“
„Wie? Was kann denn dieser Mensch dafür,
dass er so weiß nicht ist wie ihr?
Und nennt ihn nicht den Mohren.
Das ist nicht ausgegoren.“
„Wir machen´s, wie wir wollen.
Er soll nach Haus´ sich trollen.
Ob wir jetzt einen Mohr verprügeln,
dem Neger fix die Fresse bügeln,
das ist uns völlig einerlei.
Mit Spaß sind beide wir dabei.
Und gänzlich nebensächlich ist,
ob er nun Heide oder Christ.“
Ach, hätt´ ich wie der Nikolas
ein großes schwarzes Tintenfass.
Ich tät sie drin ertränken,
weil sie die Schwarzen kränken.
Es bessern sich Idioten
niemals mit Wortverboten.
Drum sind Sprachpolizisten
vergleichbar Exorzisten.
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