Liebe Leserin, lieber Leser,
letzte Woche stand die Stadt im Mittelpunkt. Verelendet, perspektivlos, gescheitert. Auch heute lesen Sie etwas über eine Stadt und was sie sein kann, oder besser, sein konnte. Letzte Woche dargestellt mit den Mitteln des Expressionismus, heute als romantisches Genrebild. Wem die Sympathien und die Tränen über Verlorenes gehören, ist unschwer zu erkennen.
Die alte Stadt: Eine Liebeserklärung
Du stolze Stadt, die Du in vorvergangner Zeit
die Tore öffnetest dem Gast aus Nah und Fern,
umwerbend ihn mit mancherlei Genüssen,
Du, dessen Kaufmannschaft die Fremden hat
verwöhnt mit Waren ausgefall´nster Art,
Du, die Du mit stillen Plätzen, lauschig
und romantisch, den Schöngeist ludest zum
Verweilen, den von des Lebens Hektik
aufgewühlten Menschen Muße botest,
einer Oase gleich im heißen Wüstensand.
In Deinen Gassen herrschte reges Treiben.
Dennoch, ein Ort der Ruhe war´s für jeden,
der in sich barg den Reiz verfloss´ner Zeiten
als ein Geschenk von vielen Menschenaltern.
Doch ach, der Zeiten Läufte fordert Wandel.
Das, was geschätzt, geliebt, geehrt seit Jahren
wird hingeopfert einem Geist, der sich
der Tradition der Väter halbherzig nur
verpflichtet fühlt. Unwiederbringliches
wird so per Federstrich amtlich entsorgt.
Unmerklich erst verändert sich das Bild.
Ein Eckchen hier, ein schmucklos Häuschen dort.
Begradigung der Wege alten Handels.
Die Gracht, die stört den Fluss des emsigen
Geschäfts, wird zugeschüttet über Nacht.
Die Handelspunkte, Zentren der Begegnung,
verlagert werden sie aufs grüne Feld
und weichen zeitbedingtem Sortiment.
Man kauft, doch man erwirbt nicht mehr.
Zum unbehausten Gast mutiert der Wandel.
Wo einstmals Lebensfreude quirlig pulste,
da starren blinde Fensterhöhlen nun
auf müde Menschen, die ziellos suchend
auf und ab durch kalte Straßen irren.
Denn Deine Seele ist schon lange fort.
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