Nr. 150: Zum unbehausten Gast mutiert der Wandel

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

letzte Woche stand die Stadt im Mittelpunkt. Verelendet, perspektivlos, gescheitert. Auch heute lesen Sie etwas über eine Stadt und was sie sein kann, oder besser, sein konnte. Letzte Woche dargestellt mit den Mitteln des Expressionismus, heute als romantisches Genrebild. Wem die Sympathien und die Tränen über Verlorenes gehören, ist unschwer zu erkennen.

 

 

 

Die alte Stadt: Eine Liebeserklärung

 

Du stolze Stadt, die Du in vorvergangner Zeit

die Tore öffnetest dem Gast aus Nah und Fern,

umwerbend ihn mit mancherlei Genüssen,

Du, dessen Kaufmannschaft die Fremden hat

verwöhnt mit Waren ausgefall´nster Art,

 

Du, die Du mit stillen Plätzen, lauschig

und romantisch, den Schöngeist ludest zum

Verweilen, den von des Lebens Hektik

aufgewühlten Menschen Muße botest,

einer Oase gleich im heißen Wüstensand.

 

In Deinen Gassen herrschte reges Treiben.      

Dennoch, ein Ort der Ruhe war´s für jeden,

der in sich barg den Reiz verfloss´ner Zeiten

als ein Geschenk  von vielen Menschenaltern.

Doch ach, der Zeiten Läufte fordert Wandel.

 

Das, was geschätzt, geliebt, geehrt seit Jahren

wird hingeopfert einem Geist, der sich

der Tradition der Väter halbherzig nur

verpflichtet fühlt. Unwiederbringliches

wird so per Federstrich amtlich entsorgt.

 

Unmerklich erst verändert sich das Bild.

Ein Eckchen hier, ein schmucklos Häuschen dort.

Begradigung der Wege alten Handels.

Die Gracht, die stört den Fluss des emsigen

Geschäfts, wird zugeschüttet über Nacht.

 

Die Handelspunkte, Zentren der Begegnung,

verlagert werden sie aufs grüne Feld

und weichen zeitbedingtem Sortiment.

Man kauft, doch man erwirbt nicht mehr.

Zum unbehausten Gast mutiert der Wandel.

 

Wo einstmals Lebensfreude quirlig pulste,

da starren blinde Fensterhöhlen nun

auf müde Menschen, die ziellos suchend

auf und ab durch kalte Straßen irren.

Denn Deine Seele ist schon lange fort.

_______________________________________