Liebe Leserin, lieber Leser,
wir leben in einer merkwürdigen Gesellschaft. Egoismus und Sensibilität sind engste Nachbarn. Im
Großen wie im Kleinen.
Wir erregen uns über die ausbleibende Hilfe für die schiffbrüchigen Migranten und die Elendszustände in den Auffanglagern in der Ägäis. Gleichzeitig dreht sich unser Denken um die nächste Rotweinlieferung und darum, wann wir wieder Shoppen können.
Wir bekommen wässrige Augen angesichts der verhungernden Kinder im Tschad, auf Madagaskar, in Burundi, in Somalia, Südsudan, Syrien und im Jemen. Statt tätiger Hilfe werden die eigenen Kinder verzärtelt und verhätschelt.
Es wächst eine Generation verweichlichter Jugendlicher heran. Nun plötzlich fordert man Resilienz. Das ist die psychische Widerstandskraft, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen, eine typische Aufgabe für Familie und Schule.
Hierzu eine echte Begebenheit, die sich genauso (1:1) abgespielt hat, wie im folgenden Gedicht zu lesen.
Halt, noch eine Korrektur (s.o.) in eigener Sache. Wir leben in keiner „merkwürdigen“, wir leben in einer unsympathischen Gesellschaft.
Timmi, acht Jahre, hat Ferien
Endlich Ferien. O wie schön.
Jetzt kann Tim dem Stress entgehn.
Denn die dritte Klasse ist
- mal ganz ehrlich - großer Mist.
Tim braucht dringend Chillen pur,
sagt die Mama, aber nur,
wenn ich ihn betütteln kann,
unseren lieben kleinen Mann.
Frühstück ist, wenn er erwacht.
Vorher endet keine Nacht.
Ich warte gerne morgens still,
wann der Tim Nutella will.
Und ein Croissant dazu.
Erst dann gibt der Timmi Ruh.
Hat er dreimal abgebissen,
dann will unser Liebling wissen,
wie der Tag von statten geht,
was auf dem Terminplan steht.
Keinesfalls darf man jetzt wagen,
Tim um Hilfe anzufragen
bei des Tages Haushaltspflicht.
Das schätzt unser Timmi nicht.
Heute steht auf seinem Plan
übernachten bei Freund Jan.
Willst du wirklich? fragt die Mutter.
Haben die gesalzne Butter?
Nicht zu schwarzes Körnerbrot?
Zu viel davon macht Liebling tot.
...
Sag gleich, wenn du drüben bist,
dass du nur Klassik-Müsli isst.
Nur die guten Köllner Flocken
können Timmis Frühstück rocken.
Und sag deinem Freunde Jan,
du kommst nur, wenn Parmesan
die Mittagsnudeln würzen tut.
So tat´s Oma. So ist´s gut.
Dann wird mein Timmi glücklich sein.
Doch sag auch, Butter muss darein.
Geht das nicht, wärst du bereit
zu Pfannekuchen jederzeit.
Pommes kannst du auch verlangen.
Doch lehne ab die Käsestangen.
Snacks dagegen kannst du ordern.
Bei Äpfeln musst du Elstar fordern.
Frag nach Popcorn und Bananen,
auch Chips sind für dich einzuplanen.
Und unbedingt ein guter Sprudel.
Das verträgt sich mit der Nudel.
Möglich sind auch Milch und Saft.
Die geben meinem Timmi Kraft
für die harte Lernerei.
Timmi ist schon ganz entzwei.
Schau! Aus dem Fenster winkt der Jan.
Der freut sich schon, der kleine Mann.
Doch zwischen uns die böse Straße.
Ich fahr dich hin, mein kleiner Hase.
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