Nr. 159/160: Das Auge des Betrachters

Liebe Leserin, liebe Leser,

 

haben Sie sich schon einmal gefragt, warum der Schöpfergott so viele Grausamkeiten auf der Welt zulässt?

 

Ich habe mehrfach katholische Priester zu diesem Thema befragt. Und bekam immer die gleiche Antwort: Unser Gott, der Herr des Himmels und der Erde, hat den Menschen das wunderbarste Geschenk gemacht, das man sich nur denken kann. Unseren blauen Planeten, die Erde.

 

Gleichzeitig hat der Herrgott den Menschen als seinem Ebenbild mit einem freien Willen ausgestattet. Sie dürfen tun und lassen, was immer ihnen beliebt. Gutes und Böses.

 

Damit ist der Herrgott aus dem Schneider und für keine Übeltaten verantwortlich zu machen. Die, so die Pfarrer, habt ihr euch selbst zuzuschreiben. Bei Gott seid ihr an der falschen Adresse.

 

Das ist ein fauler Zauber. Das habe ich erst jetzt erkannt. Wenn der freie Wille für so viel Gräueltaten verantwortlich ist, dann hätte Gott den Menschen als Gegengewicht einen ebenso perfekten Verstand geben müssen. Der hätte ihnen gesagt, dass Krieg der Menschheit immer nur unermessliches Leid zufügt. Ein rational handelnder Mensch würde nie einen brutalen Krieg anfangen. Warum hat Gott uns diese Erkenntnis nicht gegeben?

 

Und was sagt der selbstgerechte Geistliche den Opfern? Denjenigen, die niemals handeln, sondern nur leiden?

 

Nun, alles ist eine Frage der Bewertung. Lassen wir heute einmal den lieben Gott und seinen ärgsten Widersacher, den Teufel, persönlich zu Wort kommen.

 

Betrachtungsweise Nr. 1: Der HERR

 

Sieh da, der HERR auf seiner Wolke

zeigt sich zufrieden seinem Volke.

Nicht jeder sieht ihn von der Erde,

zu weit entfernt ist seine Herde.

 

Doch ER dort droben sieht genau,

wer gut, wer schlecht, wer fromm, wer lau.

ER streicht sich seinen Bart entzückt.

Die ird´sche Welt ist ihm geglückt.

 

Der Mensch als seiner Schöpfung Krone,

(er weiß sich einig mit dem Sohne)

ist ihm nach großer Arbeit Qual

gelungen ziemlich genial.

 

Der Oberengel schenkt ihm ein

vom besten Tröpfchen ein Glas Wein.

Und noch einmal wird nachgeschenkt

dafür, dass ER die Welten lenkt.

 

Seht, sagt ER stolz zu Gabriel,

die Menschen mein sind bumsfidel,

wie sie dort meine Welt bestellen,

im Lobpreis sich zu mir gesellen.

 

Weil Wohlstand möglich ich gemacht.

Weil allen Menschen Friede lacht.

So kann ein jeder glücklich werden,

weil so perfekt ist meine Erden.

 

Denn sieh! Die blauen Meere lächeln.

Die Winde, die sanft drüber fächeln.

Den Reichtum meiner Bodenschätze.

Den Stolz der reichen Handelsplätze.

 

Der Überfluss ist Garantie,

dass Neid und Missgunst siegen nie.

So sprach der HERR und strich sich glatt

das Hemd, das überm Bauch er hat.

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Betrachtungsweise 2: Der Teufel

 

In einem Loch, zehn Klafter tief,

inmitten schwefeligem Mief,

auch da freut sich ein anderer sehr.

Es ist der Teufel Luzifer.

 

Er schaut von unten durch die Erde,

zu zählen, wer bald seiner werde

von der unsel´gen Menschenrasse,

die sich zerfleischt in ihrem Hasse.

 

Vergnügt kratzt er sich Fell und Schwanz.

Er freut sich auf den Totentanz,

den er gedenkt zu walzen heuer

auf dem heißen Höllenfeuer.

 

Denn anders als Gottvater droben

hat er speziellen Grund zu loben.

Er weiß, der Mensch, des Herrgotts Stolz,

hat Qualität wie morsches Holz.

 

Dies Schundprodukt, das käme nie

auf einen Markt der Industrie.

Wer baut schon aus gebrauchter Rippe

ein Weib mit Kopf und Hals und Lippe?

 

Doch ihm zu geben unbeschränkt

den Willen, den er selber lenkt,

das ist, der Teufel lacht ins Fäustchen sich,

der gröbste Fehler sicherlich.

 

Obwohl des Herrgotts schöne Welt

zu den größten Wundern zählt,

hindere sie nicht die Menschenschar

sich umzubringen Jahr für Jahr.

 

Des Menschen falsche Konstruktion

ist letztlich für mich Sieg und Lohn.

So sprach der Teufel voller Spott

und höhnt den selbstzufriedenen Gott.

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