Nr. 167: Eine(r) kann nur Erste(r) sein

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

Kritische Texte, die sich in Prosa nicht selten unelegant und beleidigend anhören, verlieren in der lyrischen Fassung ihren groben Ton. Mehr noch, die gereimte Form ist eher dem eleganten Florett vergleichbar. Da wird hier und da gepiekst. Das lässt sich aushalten. Prosa dagegen schlägt oft, wie ein schwerer Säbel, tiefe Wunden.

 

Ich piekse. Sie wissen alle, wen ich hier ins Visier nehme. Nun denn, lesen Sie…

 

 

Ich Chefin, du nix

 

Ganz selten gibt es den Moment,

wo man als Publikum erkennt,

wes Geistes Kind ist die und der.

Die Wahrheit tut sich äußerst schwer.

 

Das gilt für Mann, das gilt für Frau.

Das gilt zu Haus, wie auf dem Bau.

Das gilt beim Küssen in der Liebe.

Das gilt im Politikgetriebe.

 

Versteht ihr, was ich hiermit meine?

Ein Fall macht dem Verstande Beine.

Da gibt es zwei Persönlichkeiten,

die dem Wahlvolk Freud´ bereiten.

 

Da ist ein Mann aus hohem Norden,

der Präsident vom grünen Orden.

Ist erfahren und beliebt.

Das Volk ihm seine Stimme gibt.

 

Da ist ein schönes Weib gekommen.

Das hat des Volkes Ruf vernommen.

Ist fleißig und detailverliebt.

Das Volk ihr seine Stimme gibt.

 

Doch Eine(r) nur kann Erste(r) sein.

Ein Kanzler ist man nur allein.

Da hebt ein ungleich Kämpfchen an.

Verlieren kann da nur der Mann.

 

Er hat - es sei bei Gott geklagt -

bei Wahl des eigenen Geschlechts versagt.

Doch um die Sachlichkeit zu wahren,

lässt Frau das Wahlvolk hier erfahren:

 

Ich komme aus dem Völkerrecht.

Er ist mehr Bauer oder Knecht.

Ich bin die Intellektuelle.

Er ist Chef der Schweineställe.

 

Das Wahlvolk hört es mit Erstaunen.

Doch horcht: Ein unheilvolles Raunen:

Abgerechnet wird am Schluss.

Hokus. Pokus. Fidibus.

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Und hier sehen und hören Sie den Anlass* für das obige Gedichtchen

* Annalena Baerbock und Robert Habeck im Interview mit dem NDR am 23.11.2020