Nr. 183: Nächtens bin ich zartbesaitet

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

zum Jahresabschluss eine Weihnachtsgeschichte. Eine sehr persönliche mit ernsten und heiteren Motiven. Sie ist mir selbst passiert, gerade eben. Ich habe nichts hinzugefügt und nichts weggelassen.

 

Es begann mit einem plötzlichen Schwächeanfall meinerseits. Als ich deshalb meinen Hausarzt aufsuchte, bekam die ganze Geschichte eine unerwartete Dynamik. Aber lesen Sie selbst.

 

Zuvor wünsche ich Ihnen ein ruhiges harmonisches Weihnachtsfest im Kreise ihrer Lieben und alles Gute für ein hoffentlich besseres Jahr 2022.

 

Herzsachen

 

Erster Tag

 

Der Anlass? Kaum der Rede wert.

Ein Zittern. Leichtes Schwanken.

Doch schon fand ich mich tropfbewehrt

geschickt zum Haus der Kranken.

 

Man rollte mich zur Herzstation.

Mein Bett war schon bezogen.

Zwei Kameraden fand ich schon,

versorgt von Kardiologen.

 

Man legt mich in das dritte Bett

flankiert von den Kollegen.

Ganz links der Heinz aus Schöppenstedt.

Ein Klaus hat rechts gelegen.

 

Vorm Schlafen gibt es Tee und Brot.

Man misst den Druck des Blutes.

Nun, denk ich, hier hat´s keine Not.

Kranksein hat auch was Gutes.

 

Kaum hab ich mich zur Ruh gelegt,

fängt Heinzen laut am Japsen.

Puls, Atem, Herz, die sind erregt.

Mir knallen die Synapsen.

 

Er stöhnt, er barmt, er fleht, er keucht.

Auch meine Pulse fliegen.

Erst als er zur Toilette kreucht,

kann Morpheus ihn besiegen.

 

So geht es durch die ganze Nacht.

Ich bin total gestresst.

Jetzt, morgens, zeigt die Uhr halb Acht.

Der Heinz schläft tief und fest.

 

 

Zweiter Tag

 

Jetzt fall´n auch mir die Augen zu.

Der Schlaf und ich sind eins.

Doch schon schreck ich aus meiner Ruh´.

Schon wieder geht´s um Heinz.

 

Der nebelt rauchend mir den Raum.

Die Schwester kommt, die Nette:

„Herr Heinz, ich seh´ und  fass es kaum.

Hinfort die Zigarette!“

 

Um Elf ruft Heinz die Tochter an

und ordert´s  Mittagessen.

Mettenden* hat gewünscht der Mann.

Sechs Stück will er jetzt fressen.

 

Um Zwölf verspeist er sie voll Gier.

und wirkt dabei vital.

Steht auf dem Tisch ein Weizenbier?

Ach nein, sein Urinal.

 

Herr Sliepen, ab zum Herzkatheter!

Man reißt mich aus den Sinnen.

Schon ist der Draht ein´ halben Meter

in meinem Herzchen drinnen.

 

Da gibt es Kalk. „Hier könn´ Sie´s  sehn.

Passiert nun mal bei Alten.“

Ich fühl den Hauch des Todes wehn.

Die Glieder mir erkalten.

 

Schon hat man mich zum Schlaf bereitet.

Der Heinz verdaut das Mett.

Grad nächtens bin ich zartbesaitet.

Will Ruh´ im Lazarett.


 

Dritter Tag

 

Am Morgen tat ich Heinzen hassen.

Heinz röhrte wie ein Dromedar.

Da habe ich mich selbst entlassen.

Die Nacht zu Haus war wunderbar.

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* Mettenden (auch Knackwurst oder Kochwurst)  sind grobkörnige, geräucherte Würste. Sie bestehen meist aus Schweinefleisch.