Nr. 192: An die Kunstrichter

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

Poesie darf man sicher zu den schönen Künsten rechnen. Der Dichter sitzt in seiner Klause und wartet auf den Kuss der Muse. Derweil schaut er aus dem Fenster, ergötzt sich am Vogelflug und nippt an einem Gläschen Wein. Ach, wie schön! Vielleicht trifft es das sogar.

 

Nicht bei mir, jedenfalls nicht immer. Seit Juli 2018 habe ich mir das Ziel gesetzt, jeden Montag mit einem Gedicht den gesellschaftlichen Nerv zu treffen. Jetzt bin ich - wie Sie sehen - bei der Nummer 192. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, der Zwang zur Regelmäßigkeit und das Dichten nur nach Lust und Laune vertragen sich nicht so recht. Dann ist das Dichten Last, nicht Lust.

 

Nun denn, ich bin trotzdem guten Muts. Der Montagsjoint wird auch weiterhin angeboten. Sie entscheiden, ob sie sich dadurch in eine wohlgefällige Stimmung versetzen lassen. Dennoch gestatte ich mir einen kleinen lyrischen Hinweis auf die Profession des Gedichtemachers. Esprit ist nur eine von vielen Voraussetzungen.

 

 

An die Kunstrichter

 

Wer niemals ein Gedicht gedrechselt,

nie in den Stand der Kenner wechselt.

Denn wohlgesetzte Poesie

ist nur zum kleinsten Teil Esprit.

Wem Dichters Schweiß ist unbekannt,

ist Richter nicht, ist Dilettant!

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