Nr. 238: Mett mit Salz, Kümmel und Pfeffer

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

jeder Autor trägt einen Traum mit sich herum. Auch ich. Einmal ein gebundenes Buch mit den eigenen Werken in den Händen zu haben. Nicht im Eigenverlag. Nein! Als Autor eines Verlegers, der von der Qualität seines Autors überzeugt ist.

 

Welche Vermessenheit. Romane gehen schwer, Gedichte sind unmöglich. Kassengift werden sie genannt. Nun, ich habe mich damit abgefunden. Aber dafür ich wetze heute mal meinen lyrischen Giftzahn an der Gleichgültigkeit von bestimmten Verlegern, die nur an das Geld denken und niemals ein Wagnis eingehen. Deshalb lesen Sie meine mit Lust und Bosheit verfasste Verlegerbeschimpfung. Viel Spaß!

 

 

Verlegergeschichten

 

Ich bin Verleger und mache in News.

Mein Hauptwort, das heißt Verdienen.

Ich scheu´ beim Bereichern keine Tabus.

Bei mir sind große Romane erschienen.

 

Literatur ist für mich, das, was gefällt.

Das Publikum will nichts Gelehrtes.

Mit Goethe und Schiller verdient man kein Geld.

Pekuniär sind sie nichts nennenswertes.

 

Natürlich verlege ich keine Gedichte.

Auch wenn die Dichter drum flehen.

Doch machen sie Bilanz und Gewinne zunichte.

Das müssen die Poeten verstehen.

 

Ein paar Balladen sind im Regal.

Die lass ich die Jahre lang liegen.

Einst hatten die Schwarten das Potenzial

im Wettbewerb um Preise zu siegen.

 

Apropos große Romane. Die gehen wie Mett

mit Salz, Kümmel und Pfeffer.

Sie sind, wie sagt man, ganz nett.

Kommerziell sind sie alle ein Treffer.

 

Und so verlege ich alles, was sich verkauft.

Eine Medienhure bin ich geworden.

Und wenn sich das Publikum um Bestseller rauft,

dien´ ich mit kunstgewerblichen Morden.

 

Nur ganz selten hab´ ich Visionen.

Ob die Förderung von jungen Talenten

tät für mein Ego sich lohnen?

Doch das geschieht nur in schwachen Momenten.

 

Und so verlege ich dies und das.

Zeitgeistig sind meine Autoren.

Ich habe verlegt meinen Verlegerkompass.

Ich reite mein Pferd ohne Sporen.

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nach Motiven von Oskar Blumenthal (1852-1917)

 

Viele Träume werden auch 2023 nicht in Erfüllung gehen. Trösten Sie sich. Es warten noch genug schöne Momente. Man muss nur die Augen aufmachen.

 

Ich wünsche Ihnen, dass Sie im neuen Jahr den Kopf immer über der Wasserlinie haben und wenn Sie schon das Eine oder Andere schlucken müssen, es sich dann um ein köstliches Tröpfchen handelt.

 

Wie immer herzlichst

 

Ihr

 

Rainer Sliepen