Nr. 239: Von Muße krieg ich nie genug

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

der Mensch wird in Schubladen eingeteilt, ob er will oder nicht. Ich will. Ich habe mich sogar selbst eingeteilt. Ich liege in einer Schublade, zu der sich die wenigsten Menschen bekennen, obwohl der Platz da drinnen langsam knapp wird. Und dennoch liegt es sich dort sehr komfortabel. Ich möchte um keinen Preis umziehen.

 

Um welche Schublade es sich handelt? Dann kommen Sie mal näher. Noch näher! Und jetzt hören Sie genau zu.

 

Der Spießer – ein Selbstbild

 

Liebe Leute, kommt mal ran,

hört euch mein Geständnis an.

Bekanntlich wollen Mann und Frau

ähneln einer coolen Sau.

 

Immer lässig auf der Piste.

Immer locker, niemals triste.

Immer hektisch unterwegs.

Niemals Klopse, immer Steaks.

 

Immer mit der Masse heulen.

In der Menge sich verknäulen.

Immer nach dem neusten Trend.

Immer Fan, nie Dissident.

 

Immer auf den Beinen sein.

Stets mit Freunden, nie allein.

Lesen, was der Mainstream will.

Labern bis zum Overkill.

 

So kann man sein Leben leben.

Ich will nur nach Ruhe streben.

Hört den ersten Paragraph:

Wichtig sind acht Stunden Schlaf.

 

Frühstück nur im Schlafanzug.

Von Muße krieg ich nie genug .

Zeitung, Kaffee, Marmelade. 

Keine weibliche Tirade.                              ...

                                                              

 

 

 

Der zweite Paragraph schreibt vor:

Reflexion braucht der Autor.

Lange in die Wolken schauen.

Auf den Musenkuss vertrauen.

 

Bis Schlag Zwölfe. Bin kein Knecht.

Der Darmtrakt fordert jetzt sein Recht.

Im Paragraphen drei steht schlicht,

für Dichter ist das Essen Pflicht.

 

Nur gekocht von lieber Hand

ist´s fürs Gleichgewicht Garant.

Noch einen Mokka hinterher.

Der Mittagsschlaf ist mein Dessert.

 

Der Rest des Tags ist schnell erzählt.

Alles meiden, was dich quält,

steht im Paragraphen vier.

Nehm´s sehr ernst, ich Arbeitstier.

 

Dann schon bricht der Abend an.

Ich schau Tagesschau sodann.

Die Frau kredenzt ein Fläschchen Bier.

Chips und Nüsschen knabbern wir.

 

Freu´n uns über Mord und Leichen.

Raten mit bei Quizvergleichen.

Promis interessieren sehr.

Königshäuser noch viel mehr.

 


Spätestens um zehn ist Schluss.

Der lieben Frau den Einschlafkuss.

Habe heute viel geschafft. 

Ruhe gibt dem Spießer Kraft.

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Kraft! Das ist das Zauberwort, um die unruhigen Zeiten in der Welt zu verstehen und nicht in eine eigene Welt voller falscher Harmonien abzutauchen. Denn dieser Flucht scheinen immer mehr Bundesbürger zu erliegen. Also Augen auf. Nur das, was man sieht, kann man bekämpfen.

 

Eine gute Woche wünscht Ihnen wie immer herzlich

 

Ihr

 

Rainer Sliepen