Metamorphosen - Schalmei trifft Oboe

Capella de la Torre gibt ein Konzert in der Dornse in Braunschweig

Das Ensemble mit Leiterin Katharina Bäuml (5. von links) und Oboistin Johanna Stier (2. von rechts)

Denkte, 28.01.2023, von Rainer Sliepen

 

„Metamorphosen – Schalmei trifft auf Oboe“

 

So hatte die Capella de la Torre, vielfach ausgezeichnetes Renaissance-Ensemble der Sonderklasse, ihr Konzert in Braunschweig überschrieben. Und in der Tat, Verwandlungen waren am Samstagabend in der Dornse des Altstadtrathauses in mehrfacher Form zu besichtigen. Zum einen der direkte Vergleich von Oboe und ihrer Vorfahrin, der Schalmei. Beides Doppelrohrblattinstrumente, wie Katharina Bäuml, Leiterin des Ensembles und Schalmeivirtuosin, dem Publikum erläuterte.

 

Ohne Tricksen geht es nicht

 

Das kleine Blättchen dürfe weder zu feucht, noch zu trocken sein. Nicht selten eine Gratwanderung angesichts schwieriger klimatischer Raumverhältnisse. Johanna Stier, Solo-Oboistin der NDR-Radiophilharmonie, nickt. Und verweist im Unterschied zur Schalmei auf die metallenen Klappen. Die fehlen bei der Schalmei. Da muss zur präzisen Tonansteuerung schon mal getrickst werden, sagt Bäuml lächelnd. Beide Instrumente vereint das Ideal, die menschliche Singstimme nachzuahmen. Wie die von Sopranistin Margaret Hunter, Renaissance- und Barockspezialistin. „O, che nuovo miracolo“ („O, was für ein neues Wunder“) von Emilio Cavalieri (1550-1602) erklingt zum Auftakt. Ein anfangs marschartig akzentuiertes Tutti, das sich im Rhythmus verändernd mit dem Sopran und den historischen Instrumenten Pommer, Dulzian, Posaune und Laute, zu einem Jubelgesang vereinigt. Renaissancemusik voller Leidenschaft und glückhafter Emphase. „Verwandlungen“ spiegeln sich auch in der Programmkonzeption.

 

Musikalisches Vorwort von Benjamin Britten

 

Die „Metamorphosen“ Ovids, die Literatur und Musik vom Mittelalter bis zum Barock beeinflusst haben, sind in der musikalischen Ausdeutung für Oboe von Benjamin Britten (1913-1976) den einzelnen Musikstücken wie ein Vorwort vorangestellt. Stiers Oboe spürt Hirtengott Pans Verzweiflung wegen der sich ihm entziehenden Nymphe Syrinx nach. Ein Klagegesang, selbstvergessen, grübelnd. Monteverdi (1567-1643) und Frescobaldi (1583-1643) haben diese Stimmung aufgegriffen. Mal schmerzlich akzentuiert als Dialog zwischen Posaune und Sopran oder in einem fröhlichen Austausch zwischen den beiden Leitinstrumenten und Hunters beweglichem und sensibel geführten Sopran. Und wiederum Brittens Oboenversion.

 

 

Zwischen Klage und Lebensfreude

 

Die Klage Niobes, die in einen Stein verwandelt den Tod ihrer 14 Kinder beweint. „Hier werden spannende Geschichten erzählt“, sagt Katharina Bäuml mit Begeisterung. Johanna Stier lässt ihre Oboe schmerzlich aufschluchzen. Dann das „Requiem aeternam“ von Tomás Luis de Victoria (1548-1611), liturgisch feierlich, voller Würde. Darüber der Sopran, schlicht und doch kunstvoll geführt. Die Überleitung zu „The Funerals“ von Anthony Holborne (1545-1602). Die Trommel schlägt, der Trauerzug, grundiert von Orgel, Posaune, Dulzian ist in stockender Bewegung, ohne in Hoffnungslosigkeit zu erstarren. Denn schon in „Bacchus Gelage“ lässt Britten und mit ihm Johanna Stier mit virtuosen Wendungen das Gekicher von Frauen und schnatternden Schreien anklingen. Schließlich ein Ohrwurm voller Leidenschaft, Lebensfreude und Diesseitigkeit: „Nell´ apparir del sempiterno sole“ („Im Erscheinen der ewigen Sonne“). Und eine letzte Verwandlung: Katharina Bäuml lässt mit ihrer lebendigen, engagierten Moderation  überlebte Konzertrituale vergessen. Ein Vorbild zur Revitalisierung der Klassikszene. Langer Applaus des dankbaren Publikums für ein außergewöhnliches Konzert.

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